Hab was gefunden über die Polizeiarbeit
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Hab was gefunden über die Polizeiarbeit
Zweierlei Tod
www.zeit.de/2001/12/
Von Sabine Rückert | ©
DIE ZEIT, 12/2001
Herr W. schreibt, er habe an die Polizei geglaubt - bis kürzlich
sein Freund Herrmann verschwand. Der Versuch, den Fall als
Vermisstensache bei der Kripo unterzubringen, sei gescheitert. Drei
Wochen später fand man Herrmann ermordet. Die Ermittlungen seien
lustlos geführt, das Verfahren vier Monate später eingestellt worden.
"Ignorantes Verhalten der Mordkommission", beklagt Herr W.
Andererseits: Ein Fahrrad liegt im Schnee. Eine Zwölfjährige ist
weg. Ein ganzes Land bangt um Ulrike Brandt. Tornados der Bundeswehr
steigen auf, Hubschrauber mit Infrarotkameras stehen über Wäldchen,
mehr als 500 Beamte durchkämmen verdächtige Gebiete. Ein Fußgänger
findet das tote Kind. Jetzt sucht ein ganzes Land den Mörder. 1998 war
das ebenso: Damals lag das Fahrrad der elfjährigen Christina Nytsch aus
Cloppenburg da, dann fand man ihre Leiche. 19 000 Mann traten zum
Speicheltest an. Bis der Täter gefunden war, verschlang die Suche
Millionen. Die Porträts der beiden lieben Mädchen waren über Wochen auf
Seite eins der Bild-Zeitung zu sehen, es gab Titelgeschichten und
TV-Sondersendungen. Da wird alles anders.
Ermittlungsbehörden setzen Schwerpunkte. Was die Öffentlichkeit für
verfolgenswert hält, wird mit großem Aufwand verfolgt. Der Staat
antwortet auf ein öffentliches Bedürfnis nach Täterermittlung. Und
dieses Bedürfnis wird hergestellt von den Medien. So entsteht
Erfolgsdruck.
Schon richtig: Presse und Fernsehen kontrollieren die Arbeit von
Polizei und Staatsanwaltschaft. Doch die Polizeireporter sind in ihrer
bisweilen mörderischen Konkurrenz untereinander auf ein ungetrübtes
Verhältnis zur Kripo und auf Kontakte zu den Staatsanwälten angewiesen.
Dafür sehen sie gern hinweg über Ermittlungsfehler im Einzelfall und
die Fehler des Großen und Ganzen.
[/url]Wozu führt das? Die Polizei verhält sich
mehr und mehr wie die Politik. Sie wird zu einer Maschine der
Selbstdarstellung und der Erfolgspräsentation, die schon handelt, wo
sie noch denken müsste. Wo immer öffentliche Emotion entsteht, greift
die Polizei medienwirksam ein. Dass die Fälle Christina und Ulrike so
außerordentlich verfolgt wurden, ist gut - kein Zweifel. Doch kein
Staat macht sich die Mühe, jedem Vermisstenfall, jedem Tötungsdelikt in
dieser Intensität nachzugehen: Es wird ausgewählt.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat unterdessen beschlossen, die Hälfte
seiner gerichtsmedizinischen Institute abzuschaffen. Die Untersuchung
von Tausenden ungeklärten Toden, die auf keiner Seite eins erscheinen,
bringt dem Staat nichts ein: weder Ruhm noch Zustimmung und auch keine
Wählerstimmen. Dass in diesen Instituten, dass in dieser Republik nicht
nur nach einem Mörder gefahndet wird, sondern nach vielen - wen
kümmert's? Jetzt wird erst einmal Ulrikes Mörder gesucht. Sabine Rückert
www.zeit.de/2001/12/
Von Sabine Rückert | ©
DIE ZEIT, 12/2001
Herr W. schreibt, er habe an die Polizei geglaubt - bis kürzlich
sein Freund Herrmann verschwand. Der Versuch, den Fall als
Vermisstensache bei der Kripo unterzubringen, sei gescheitert. Drei
Wochen später fand man Herrmann ermordet. Die Ermittlungen seien
lustlos geführt, das Verfahren vier Monate später eingestellt worden.
"Ignorantes Verhalten der Mordkommission", beklagt Herr W.
Andererseits: Ein Fahrrad liegt im Schnee. Eine Zwölfjährige ist
weg. Ein ganzes Land bangt um Ulrike Brandt. Tornados der Bundeswehr
steigen auf, Hubschrauber mit Infrarotkameras stehen über Wäldchen,
mehr als 500 Beamte durchkämmen verdächtige Gebiete. Ein Fußgänger
findet das tote Kind. Jetzt sucht ein ganzes Land den Mörder. 1998 war
das ebenso: Damals lag das Fahrrad der elfjährigen Christina Nytsch aus
Cloppenburg da, dann fand man ihre Leiche. 19 000 Mann traten zum
Speicheltest an. Bis der Täter gefunden war, verschlang die Suche
Millionen. Die Porträts der beiden lieben Mädchen waren über Wochen auf
Seite eins der Bild-Zeitung zu sehen, es gab Titelgeschichten und
TV-Sondersendungen. Da wird alles anders.
Ermittlungsbehörden setzen Schwerpunkte. Was die Öffentlichkeit für
verfolgenswert hält, wird mit großem Aufwand verfolgt. Der Staat
antwortet auf ein öffentliches Bedürfnis nach Täterermittlung. Und
dieses Bedürfnis wird hergestellt von den Medien. So entsteht
Erfolgsdruck.
Schon richtig: Presse und Fernsehen kontrollieren die Arbeit von
Polizei und Staatsanwaltschaft. Doch die Polizeireporter sind in ihrer
bisweilen mörderischen Konkurrenz untereinander auf ein ungetrübtes
Verhältnis zur Kripo und auf Kontakte zu den Staatsanwälten angewiesen.
Dafür sehen sie gern hinweg über Ermittlungsfehler im Einzelfall und
die Fehler des Großen und Ganzen.
[/url]Wozu führt das? Die Polizei verhält sich
mehr und mehr wie die Politik. Sie wird zu einer Maschine der
Selbstdarstellung und der Erfolgspräsentation, die schon handelt, wo
sie noch denken müsste. Wo immer öffentliche Emotion entsteht, greift
die Polizei medienwirksam ein. Dass die Fälle Christina und Ulrike so
außerordentlich verfolgt wurden, ist gut - kein Zweifel. Doch kein
Staat macht sich die Mühe, jedem Vermisstenfall, jedem Tötungsdelikt in
dieser Intensität nachzugehen: Es wird ausgewählt.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat unterdessen beschlossen, die Hälfte
seiner gerichtsmedizinischen Institute abzuschaffen. Die Untersuchung
von Tausenden ungeklärten Toden, die auf keiner Seite eins erscheinen,
bringt dem Staat nichts ein: weder Ruhm noch Zustimmung und auch keine
Wählerstimmen. Dass in diesen Instituten, dass in dieser Republik nicht
nur nach einem Mörder gefahndet wird, sondern nach vielen - wen
kümmert's? Jetzt wird erst einmal Ulrikes Mörder gesucht. Sabine Rückert
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